Die folgende Darstellung der wesentlichen Lebensstationen von Georg Jentsch stammen von Ilse Köhler, schätzungweise um 1970 verfasst. Sie lernte Georg Jentsch während seiner Tätigkeit beim SD in Ostsachsen kennen. Nach 1945 war sie seine Lebensgefährtin. Veröffentlicht wurde der Text in dem Buch „Wiedererweckung der einen Welt“ aus dem Verlag "Hinder+Deelmann", Seiten 241-244.
„Am 11.August 1908 in Zittau als Sohn eines Brauereibesitzers geboren, scheint sich Georg Jentsch zunächst ganz in Richtung seiner Väter zu entwickeln. Nach dem Gymnasium folgt das Studium an der Technischen Hochschule München (Weihenstephan) mit dem Abschluß eines Diplom-Braumeister. Bedingt durch den frühen Tod des Vaters übernimmt er in weltweit wirtschaftlicher Krisensituation (1931) den elterlichen Betrieb. […]
Postkarte Brauerei Robert Jentsch, Zittau - ca. 1935 |
In den zwanziger Jahren ist es das nationale Pathos, das ihn zur aufbrechenden deutschen Bewegung treibt. Er geht durch die schlagende Verbindung und tritt 1931 – bedrückt durch das Versailler Diktat – in Überzeugung des rechten Weges der NSDAP und SS bei. 1935 heiratet er; aus seiner Ehe gehen vier Söhne hervor. Während des Zweiten Weltkrieges wird er zum Sicherheitsdienst (SD) dienstverpflichtet und leitet dort das Kultur-Referat für den Gau Sachsen.
In dieser Funktion begegnet er zahlreichen Kulturschaffenden, u.a. dem Wagnerforscher und Musikschriftsteller Dr. Walter Engelsmann. […] Sein Bemühen, direkte Verbindung zur Reichsführung zu gewinnen, weil ihm bewußt geworden ist, daß der von ihr eingeschlagene Weg ins Verderben führen muß, wird ablehnend zurückgewiesen unter der Androhung seiner Festnahme, sofern er nicht schweige. […]
In seiner Dienststelle kann man ihn jedoch nicht mehr gebrauchen. So wird er zur Niederschlagung eines (1944 ausgebrochenen) Aufstandes in der Slowakei beordert. Er verweigert im Einsatz aus Gewissensgründen die Weitergabe eines ihm unannehmbaren Befehls an seine Unterführer und wird trotz persönlicher Erfolge – es gelang ihm, große Gebiete zu befrieden – seiner Ämter enthoben und degradiert. Von dieser Zeit an wird er bis zum Ende des Dritten Reiches völlig isoliert und sämtlicher Aufgaben entbunden.
Porträtaufnahmen G. Jentsch (Dt. Wochenschau u. Verlag Hinder+Deelmann) |
Der Zusammenbruch 1945 bringt ihn um das väterliche Erbe (Enteignung der Brauerei), er verliert alle materiellen Güter, seine Kunstsammlungen, seinen Beruf und geht schließlich über die Zonengrenze nach Bamberg, die bürgerliche Welt hinter sich lassend, und beginnt vorübergehend unter falschen Namen ein neues Leben.
Ein innerer religiöser Aufbruch läßt ihn die Vergangenheit übersehen, begreifen, bewältigen. […] So folgen sieben Jahre äußerer Hilfs- und Dienstbereitschaft an durch den Zusammenbruch in Not geratenen Menschen. […]
In den fünfziger Jahren sucht er Gleichgesinnte, die wie er mithelfen wollen am Aufbau einer besseren Welt. Am 21.10.1952 nimmt er im Rahmen der Amnestie seinen alten Namen wieder an und gewinnt damit die Voraussetzung, sich in die politischen Auseinandersetzungen der Zeit einzuschalten. Das Stichwort für ihn ist die bevorstehende Remilitarisierung der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang tritt er der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) Dr. Gustav Heinemanns bei und übernimmt darin Funktionen für Oberfranken. Durch das Organ der GVP, die „Gesamtdeutsche Rundschau“, begegnet er Dr. Nikolaus Koch in dessen Bemühungen um die gewaltlose Revolution. Er identifiziert sich mit diesem Anliegen, geht für einige Zeit nach Witten-Bommern und bereitet dort zusammen mit Koch u.a. die Entwicklung eines Friedenszentrums vor.
Über einen neutralistischen Arbeitskreis lernt er den Herausgeber der Zeitschrift „Gemeinschaft und Politik“ kennen und siedelt schließlich um nach Bad Godesberg, wo er bis 1960 am Institut für Geosoziologie und Politik, an der Herausgabe von dessen Zeitschrift (G+P) und allen vom Institut ausgehenden politischen Aktivitäten („Gesamtdeutsche Union“) maßgebend mitarbeitet. In dieser Zeit entstehen seine politischen Aufsätze. Sein Drang, sozial-praktisch zu wirken, bewegt ihn 1960 zum Eintritt in die „Bruderschaft Salem“, was ihm gleichzeitig den lange gesuchten Weg nach Berlin öffnet, mitten ins Herz Preußens, der einstigen militärischen Größe, als der Ausgangsbasis künftiger mitteleuropäischer Gewaltlosigkeit.
In Berlin nimmt sein Schicksal erneut eine äußere Wendung. Man will ihm von Seiten der ČSSR Kriegsverbrechen in der Slowakei anlasten, die er niemals begangen hatte. Anläßlich eines Besuchs in Ost-Berlin wird er verhaftet und fünf Monate in Untersuchungshaft genommen. Erst ein umfangreiches, sorgfältig durchgeführtes Untersuchungsverfahren ermittelt seine Unschuld; man gibt ihn schließlich frei. Voll rehabilitiert, wird er nach Dresden zu seiner Familie entlassen. Die letzten sieben Jahre seines Lebens dienen dort stillem wissenschaftlichen Wirken, noch einmal überschattet durch die Folgen seines Widerstandes gegen den Kriegsdienst, diesmal in der DDR, nachdem er bereits früher seinem damals minderjährigen Sohn Dietrich in Westdeutschland verboten hatte, den Kriegsgesetzen Folge zu leisten.
[…] 1967 wird dann die Erkrankung an Herz und Nieren bemerkbar, […] Zuversichtlich bis zum letzten Atemzug, vollendet er sein Leben am 17.4.1968. Die Körperhülle verbleibt auf dem kleinen Friedhof von Harbshausen, einer der Bergspitzen am Edersee.“